|
Der Pass
Vom Mittelmeer auf 2.802 m, das ist doch was! Auch wenn man
weder auf die höchste Straße noch auf den höchsten Pass Europas fährt, die Kontraste
der Landschaft sind einmalig. Von der Promenade des Anglais zu den Murmeltieren, von
Strand und Palmen in Fels und Eis, wo bekommt man das sonst? Deshalb beginnt der
Südanstieg zum Col de la Bonette in Nizza (Bild 1), der Stadt
mit den (nach Paris) meisten Museen Frankreichs und dem (nach Paris) größten
Flughafen Frankreis. Eben hier, am Flughafen Nice Cote d'Azur geht es los, die
ersten Kilometer sind allerdings eher eine Qual, durch Gewerbegebiete und Vororte
der Metropole. Bald jedoch wird es rechts und links steiler, nach knapp 20 km
ist man schon in der ersten Schlucht, der "Défilé du Chaudan". Und 32 km später
erreicht man die Pont de la Mescla, wo die Tinée in den Var fließt. Von nun an
bleibt die Route im Tal der Tinée. Nach 25 km erreicht man St.-Sauveur-sur-Tinée
(Bild 2). Wer eine Runde von Barcelonette über den
Col de la Cayolle und den Col de la Bonette machen will:
Dies ist der südliche Wendepunkt. Weiter geht es durch die nächste Schlucht, die
Gorges de Valabres. Ganz kurz durchquert man hier den Mercantour-Nationalpark, der
sich sonst hauptsächlich auf den Bergrücken von den Seealpen bis zum Bonette
erstreckt. Es geht zwar bergauf, doch die Steigung ist noch sehr moderat.
Seit Nizza sind auf den nun über 60 km gerade mal knappe 600 Höhenmeter bewältigt
worden. Der nächste Ort ist Isola, inzwischen ist man auf über 800 m. Am
Ortseingang von Isola steht ein sehenswerter romanischer Kirchturm, noch steht er
jedenfalls, wer weiß, wie lange noch – Bild 3. Isola selbst
ist ein netter, kleiner Ort (Bild 4) an der Kreuzung zweier
Passstraßen, etwas verschlafen. Die "Party" geht weiter oben ab, auf dem Weg zum
Col de la Lombarde liegt Isola 2000, der dazugehörige Wintersportort à la francaise.
Die Straße verläuft weiter im Tal, immer noch mit recht geringer Steigung. Erst kurz v
or St.-Étienne-de-Tinée wird es steiler: Die Straße steigt an der östlichen
Talseite in zwei Serpentinen nach oben, um dann wieder hinunter nach St. Étienne zu
führen. Warum? Das zeigt ein Blick auf den Hang gegenüber: Bild 5.
Durch diese Straßenführung umgeht man ein Bergsturzgebiet. Immerhin darf man nun nach
St. Étienne rollen (Bild 6), zum eigentlichen Startort des
Passes.
Also, St. Étienne. 85 km von Nizza, knappe 1.150 m höher – das
entspricht einer durchschnittlichen Steigung von gerade mal 1,4 %. Das wird sich nun
ändern: Für die nächsten 1.650 m braucht man nur noch 25 km, nun beginnt der Spaß also!
Zunächst ist die Steigung moderat, vorbei an der Pont Haut (hier zweigt die Straße
nach St.-Dalmas-le-Selvage ab), an Vens und an Le Pra verläuft die Straße kurvenarm
im Talboden, die Steigung ist selten steiler als 6 %. Nach Le Pra ändert sich die
Richtung, die Passhöhe ist das erste Mal zu erahnen (allerdings in weiter, weiter,
insbesondere vertikaler Entfernung). Dann, kurz vor Bousiéyas, etwa 12 km sind seit
St. Étienne absolviert, ändert sich die Landschaft dramatisch. Die Waldgrenze ist
passiert, nun öffnet sich das Tal etwas, und die Straße schraubt sich am rechten
Talhang nach oben. Das Schrauben geschieht durch mehrere Serpentinen, bei inzwischen
etwas größerer Steigung (Bild 7). Tief unten im Tal sind einige
Bergbewohner in Bewegung: Bild 8. Weiter oben kommen einige
Ruinen ins Blickfeld (Bild 9). Es sind dies die Ruinen des Camp
des Fourches, eines Kasernenkomplexes, in dem während des ersten und des zweiten
Weltkriegs französische Gebirgsjäger stationiert waren. Die verkehrliche und
wirtschaftliche Bedeutung des Passes war nie sehr groß, die strategische und
militärische dagegen sehr. Schon im 18. Jahrhundert zogen hier im österreichischen
Erbfolgekrieg die spanischen Truppen durch. Und auch später war die Grenzregion
zwischen Frankreich und Italien bis hin zum Mittelmeer häufig stark umkämpft.
Glücklicherweise zeugen heute nur noch die Ruinen von diesen spannungreichen Zeiten.
Vom Camp des Fourches hat man einen wunderschönen Rückblick
auf die zurückgelegten Serpentinen und die Berge des oberen Tinée-Tals:
Bild 10. Diesen Blick kann man nun fast die ganze Zeit bis
zur Passhöhe genießen. Diese und die Cime de la Bonette sieht man, wenn man nach vorne
schaut, was ja ab und an auch ganz sinnvoll ist (Bild 11). Sieben
lange Kilometer sind es vom Camp des Fourches bis zur Passhöhe. Und die Passhöhe ist
bei diesem Pass ausnahmsweise nicht das Ziel, schließlich wollen die 2.800 m geknackt
werden. Dazu muss allerdings der mit Abstand steilste Abschnitt überwunden werden, der
Anstieg zur Gedenktafel am Scheitelpunkt des Rundwegs um die Cime de la Bonette. Der
Gedenkstein erinnert an die verschiedenen Baumeister der Strecke, ist aber viel
wichtiger als Beweisfotohintergrund, siehe Bild 12. Und wer es bis
hier geschafft hat, der sollte unbedingt die paar Meter bis zum Gipfel der Cime
de la Bonette hochlaufen, selbst wenn es in Radschuhen ist. Das müssen die Platten
dann eben mal aushalten, denn der Rundblick ist atemberaubend: Bei klarer Sicht sind
fast alle Massive der Südalpen zu sehen, als Beispiel Bild 13
mit dem Blick nach Süden zurück auf die Passstrecke. Bild 14
zeigt einen Überblick über die Passlandschaft, auf Bild 15 ist
die Passhöhe herangezoomt. Was nun kommt, ist eine lange, lange Abfahrt bis nach
Jausiers im Ubaye-Tal.
Jausiers im Ubaye-Tal ist der Startort der Nordrampe des Col
de la Bonette. Bild 16 zeigt das Ortszentrum,
Bild 17 den Blick über den Ort in Richtung Col de la Bonette.
Bild 18 ist eine Ausschnittsvergrößerung von Bild 17, man kann
den Weiler Lans und den unteren Teil der Bonette-Straße erkenne. Lans ist dann auch
der erste Fixpunkt, nach 4 km und einigen Serpentinen ist er erreicht. Die Straße
schlängelt sich weiter durch lichten Baumbestand nach oben, richtig hoch wirken die
Berge nicht, dass man hier auf dem Weg zu "Europas höchstem Pass" ist, wie es oft
zu unrecht heißt, kann man noch gar nicht glauben (Bild 19,
Bild 20). Aber die Steigung ist schon nicht ohne. Bis zur
Passhöhe gibt es nun kaum noch Verschnaufpausen, und es sind noch ein paar
Kilometer bis dahin. Allerdings brechen auch keine bösartigen Steigungen den Rhythmus.
Die Landschaft wird zusehends karger, Bäume gibt es schon keine mehr, bald auch keine
Büsche. Auf 2.000 m bietet ein kleines Réfuge, "Halte 2000" noch einmal die
Gelegenheit zu einer Stärkung. Dann geht es weiter durch die karge
Hochgebirgslandschaft (Bild 21). Plötzlich taucht am Horizont
das Ziel auf, die Cime de la Bonette (Bild 22). Nun ist man
bereits weit über der 2.000-m-Marke. Die Restefondkasernen erinnern daran, dass
diese Region nicht immer friedlich war. Heutzutage kämpft man jedoch nur gegen
die Höhe, das Wetter, den inneren Schweinehund etc. Doch wenn das alles besiegt ist,
hat man es geschafft: die Cime de la Bonette ist zum Greifen nah
(Bild 23). Vorbei am Col de la Bonette, die letzte (und steilste)
Steigung bis zu den 2.802 m ist dann kein Problem mehr, denn man ist ja fast oben.
Nach dem obligatorischen Besteigen der Cime de la Bonette wartet die längste Abfahrt
der Alpen, von 2.802 m auf 0 m am Mittelmeer (Bild 24). Stopp,
vorher noch das Passfoto, leider gibt es kein Passschild ...
(Bild 25).
|