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Der "Pass"
'Altissimum regionis guius montem, quem non immerito Ventosum
vocant, hodierno die sola vivendi insigenm loci altitudinem cuptiditate ductus,
aacevdi. Multis hoc annis in animo fuerat ...' - heißt auf deutsch: 'Den
höchsten Berg unserer Gegend, der nicht unverdienterweise der windige (ventosus)
genannt wird, habe ich gestern bestiegen, lediglich aus Verlangen, die namhafte
Höhe des Ortes kennenzulernen ...'
Diese Sätze markieren den Anfang des Alpinismus, wie wir ihn heute kennen:
Francesco Petrarca, der Dichter, war am 26. April 1336 der erste Mensch der
Geschichte, der einen Berg aus reiner Freude bestieg (zumindest ist von keinem
anderen etwas derartiges überliefert). Und zwar eben jenen Mont Ventoux, den
"König der Provence", der schon aus vielen Kilometern Entfernung zu sehen ist
(Bild 1), da sich seine fast 2.000 m unmittelbar aus der
bene der Provence erheben.
Ob es allerdings für den Radfahrer auch eine Freude ist, diesen Berg zu erklimmen,
sei dahingestellt. Drei Strassen führen auf den Gipfel, die der Radler benutzen
kann. Von Sault im Südosten sind es 26 km und 1.144 Höhenmeter, von Malaucène im
Westen ist es kürzer und die Höhendifferenz ist grösser: Der Radfahrer muss 1.595
Höhenmeter in 21 km überwinden. Noch ein wenig schwieriger ist der Anstieg von Bédoin
im Südwesten, 1.637 Höhenmeter in 21 km.
Nochmal zur Freude des Radfahrers: Immerhin fahren die meisten ja freiwillig und in
ihrer Freizeit den Berg hinauf, insofern schon vergleichbar mit Petrarca. Nicht
mehr ganz vergleichbar dürfte dagegen die Charakteristik des Berges sein, denn erst
nach der Rodung der Wälder erhielt er in den oberen Regionen sein karges, an eine
Geröllwüste erinnerndes "Outfit". Dies und seine exponierte Lage machen gleich klar,
worauf man sich einstellen kann: es kann auch im Sommer sehr kalt und vor allem
windig sein, aber auch sehr warm, und da es oben nicht die Spur von Schatten gibt,
ist ausreichender Sonnenschutz unabdingbar.
Nun zum Berg, als erstes der Anstieg von Bédoin. Gleich im
Ort geht es los, sofort ist das Ziel zu sehen (Bild 2), und
man wird regelmässig darüber informiert, was noch so alles zu bewältigen ist
(Bild 3). Dennoch deutet kurz hinter Bédoin noch nichts
(ausser einem Blick nach rechts) auf die kommenden Strapazen hin. Aber die meisten
Personen auf Bild 4 wissen wohl, was sie erwartet; auch jene
von vielen Zuschauern angefeuerten Radfahrer auf Bild 5, von
denen längst nicht alle so fit sind wie die, die ein paar Stunden später kommen.
Dieses Bild ist noch im Wald von Perrache aufgenommen, der zwischen Bédoin und dem
Chalet Reynard mehr oder weniger dicht ist und wenigstens ab und zu Schatten
spendet. Steil ist es dennoch, im Schnitt nicht viel weniger als 10 %. Kurz vor
dem Chalet Reynard ist es dann ein kurzes Stück mal etwas flacher, ehe es hinaus
in die Wüste geht. Zwischen den Zuschauermassen kann man auf
Bild 6 ein Schild erkennen: "Col ouvert". Das wäre ja noch
schöner!
Nun geht es immer am Hang entlang hin zu dem schon deutlich sichtbaren Turm auf
dem Gipfel. Die Bilder 7 und 8 sind in
der Gegend des Chalet Reynard aufgenommen, es beginnt hier der Kampf gegen die
Steigung und das Wetter, ob Wind oder Hitze oder beides. Selbst hartgesottene
Cowboys lassen den Kopf hängen (Bild 9), obwohl das Ziel
greifbar nah scheint (Bild 10). Nicht jeder hat diesen
Kampf gewonnen: der englische Radprofi Tom Simpson brach am 13. Juli 1967 kurz
vor dem Ziel zusammen und starb, vollgepumpt mit Amphetaminen zum Aufputschen
und Alkohol zum Betäuben der Schmerzen. Ihm zu Ehren ist ein Denkmal errichtet
worden, an dem jeder Radfahrer ein Opfer bringen muss, damit er weiterhin Glück
hat (Bild 11). Dort war dennoch am Tag der Tour-Etappe für
jeden Radfahrer Schluss, ab hier wurde man nachdringlich am weiteren Befahren der
Strasse gehindert (Bild 12).
Die nächsten Bilder zeigen Eindrücke von der Tour de France auf der 12. Etappe im
Jahre 2000. Bild 13 zeigt den Blick zurück von fast ganz
oben, ungefähr auf der Höhe der Waldgrenze befindet sich das Chalet Reynard. Und
dann kommen die Momente, auf die Tausende stundenlang gewartet haben:
Bild 14 und Bild 15 von der Tour 1999.
Auch 2002 war der gleiche Fahrer in gelb (Bild 16), und er
war schnell vorbei (Bild 17). Auch ein deutscher Fahrer
soll hier vorgestellt werden, Jörg Jaksche (Bild 18,
aufgenommen bei der Tour 2002). Auf Bild 19 nochmal das,
was an diesem Tag ca. 200 Profi-Radfahrer und unzählige Zuschauer lange Zeit als
Ziel vor Augen hatten.
In Malaucène startet der "Westanstieg" zum Mont Ventoux.
Malaucène ist eine kleine provenzalische Stadt mit engem, verwinkeltem Stadtkern
(Bild 20) und einer Wehrkirche aus dem 14. Jahrhundert.
Viel Sinn dafür hat der Radfahrer jedoch nicht, wenn er den Berg in Angriff nehmen
will. Dann geht es nämlich gleich los, erst noch kurz im Tal bis zur Notre-Dame du
Groseau, dann geht es hoch. Eine Schleife nach Süden bietet erste Blicke in die
Ebene in Richtung Orange und Avignon (Bild 21), danach geht
es mehr oder weniger direkt auf den Gipfel zu. Bei der Gite Forestier des
Ramayettes hat man, klare Sicht vorausgesetzt, einen schönen Blick sowohl nach
Norden als auch nach Süden, die Strasse verläuft hier auf einem Kamm. Dann geht
es in den Wald, nach 7 km erreicht man die Abzweigung zum Skigebiet des Mont
Serein. Zwei Serpentinen folgen, dann die letzten fünf Kilometer zum Gipfel,
die es in sich haben: Der Stein auf Bild 22 markiert das
"flachste" Teilstück dieses Abschnitts. Bald ist der Gipfel zu sehen
(Bild 23). Das letzte Stück wird in Serpentinen bewältigt,
jetzt oberhalb der Baumgrenze, daher hat man immer wieder grandiose Blicke auf die
Umgebung (Bild 24). Kurve um Kurve
(Bild 25) kämpft man sich nach oben, sieht manchen Radfahrer
schieben. Bergab macht es sicher mehr Spass, aber davor muss man halt erst mal
rauf. Und das Schild von Bild 26 steht glücklicherweise nur
oben, nicht am Beginn der Steigung. Doch das wichtigste Schild wird nun auch
erreicht, es hängt über dem Souvenirladen auf dem Gipfel
(Bild 27).
Der dritte Weg ist der längst und der "einfachste": Von
Sault sind es 26 km und knapp 1.200 Höhenmeter. Zunächst durch Felder, dann
durch Wald geht es hinauf zum Chalet Reynard, von dort dann weiter zum Gipfel.
Der Autor kennt diese Strecke nur von einer Abfahrt im Schritttempo nach der
Etappe der Tour de France 2002, daher hier keine genauere Beschreibung. Statt
dessen zwei Bilder des Mont Ventoux, gesehen von Sault:
Bild 28 ist morgens aufgenommen,
Bild 29 abends. Und nach der anstrengenden Tour kann man
sich ja Produkte der Region gönnen (Bild 30).
Zum Abschluss noch einige Impressionen vom Gipfel, ein
Passfoto (Bild 31), immer länger werdenden Schatten
(Bild 32, Bild 33,
Bild 34) und das Massif des Ecrins in der aufgehenden
Sonne (Bild 35, Bild 36) – ein
Sonnenaufgang auf dem Mont Ventoux ist übrigens ein unvergessliches Schauspiel,
auch wenn es nachts selbst im Sommer recht kühl werden kann.
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